Open Source Festival 2019

 

Das Ende eines Festivals

 

Das Düsseldorfer Open Source Festival öffnete im Juli 2019 das letzte Mal

seine Tore und seine Bühnen für alle, die Musik mit dem Herzen feiern.

 

Ein Abschied von Andrej Schenk

 

Ein (unerwartet politisches) Intro

 

Zum letzten Mal sitze ich im Düsseldorfer Wildpark, beobachte Tiere in der (fast) freien Natur und höre dabei Livemusik, die keine 200 Meter weiter von der großen Bühne des Open Source Festivals gespielt wird. Ich kenne die Band nicht, (vom Timing her wird es die Kabawil Family Band sein) aber der soulig-psychedelische Sound der melodischen, kräftigen und leicht traurig angehauchten Frauenstimme passt hervorragend zur Situation und ich fühle mich, umgeben von Rehkitzen, fast wie eine Disney-Prinzessin auf einem sentimentalen Magic Mushroom-Trip. Das Bewusstsein des Endes einer fast 15-jährigen Festival-Tradition aus solch banal-merkantilen Gründen wie gestiegene Kosten und mangelnde Unterstützung seitens der Stadt mag enttäuschen und einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen. Eventuell erwischt man sich auch bei dem Gedanken, dass die Stadt Düsseldorf unter OB Geisel (der noch im letzten Jahr bei der OS-Eröffnungsfeier sich selbst als einen großen Schöngeist und Mäzen des Kulturlebens der Stadt feiern ließ) bei allem Gerede über lokale Kunst- und Kulturförderung, dann doch lieber Millionen in angestaubte „Hochkultur“-Prestigeprojekte wie die Oper steckt, statt etwas für die „jungen Künste“ locker zu machen. Ganz im Stil der vielbesungenen „Modestadt Düsseldorf“ (wo Armut, natürlich, ein Fremdwort ist), halt. 

 

Aber genug von Politik. Hier geht’s um etwas Anderes. Und selbst wenn man auch mit der Gesamtsituation unzufrieden ist, macht dieser Augenblick in der Mitte zwischen Natur und Kultur, in dem der Wildpark von Musik erfüllt wird, die Traurigkeit des Abschieds von OS irgendwie auch schön. Harmonisch. Aber da nichts ewig währt und eine perfekte Idylle, laut Tyler Durden, bestenfalls nur für einen einzigen Augenblick erreichbar ist, wird es Zeit seinen Allerwertesten aus der Natur in Richtung Kultur und Festivalgelände zu schleppen.

 

These are just some of my favorite things

 

Die Crowd vor dem Tor ist kleiner als letztes Jahr. Aber die WIP Carhardt Stage klingt währenddessen nach einer Mischung aus jungen RHCP mit einem Touch von Iggy Pop. Das sind wahrscheinlich Sirkus, aber bis ich mich durchs Tor gekämpft und einen Pressepass ergattern habe, ist die Bühne schon geräumt. Das kommt davon wenn man zu lange über die Ungerechtigkeit der Politik im Park sinniert.

Dennoch werde ich unmittelbar danach mit dem ersten Highlight des Tages belohnt, denn schon die Tonprobe von Suzan Köcher auf der Main Stage ist awesome. Und der Sound der Band im anschließenden Auftrittsmodus ist grandios, wobei natürlich die tiefe, kehlige Wahnsinnsstimme von Madame Köcher, die schon vor zwei Jahren auf der Young Talents Stage des Open Source auf sich aufmerksam machte, besonders heraussticht. Es ist eine Stimme, die man schwer beschreiben kann, die aber einer akustischen Meeresbrandung gleicht, welche ein Katz- und Maus-Spiel mit dem Verstand treibt. Mit der dominanten Akustikgitarre und dem zentralen Vocal weckt die Sängerin/Songwriterin Köcher in mir Assoziationen mit Sheryl Crow und Nancy Sinatra – ohne jedoch an Individualität zu verlieren.

Die musikalische Abwechslung der Band ist ebenfalls erfrischend divers: auf den tighten, bissigen Blues der Einstiegsnummer, folgt die zutiefst bassschwere Nummer „7 Is The Number“, welche dem Zuhörer direkt durch das Zwerchfell geht. Der letzte Track „To Perform“, eine getriebene Rock-Nummer mit dezent-psychodelischem Keys-Einsatz, welcher den retro-lastigen Sound der 60er-70er beschwört, wird den Veranstaltern gewidmet.

 

Auf den verschiedenen Stages ist – wie immer – sehr viel zu entdecken. So mischt Peaking Lights auf der WIP-Carhardt Stage den elektronischem Xylo-Sound des DJs mit einer Stimme, welche den kosmischen Space Cowboy-Sound von Daft Punk und Yoko Kanno – mal mehr mal weniger treffend – reproduzieren möchte.  

 

Die Main Stage wir derweil von Baloji geentert, der den franko-karibischen Ethnofunk-Sound mit Hiphop und African Conga-Einflüssen à la Benda Belili vermischt. Und just in dem Moment als die Sonne hinter den Wolken hervorbricht, explodiert die große Bühne in einem Soundfeuerwerk der den Wailers zur Ehre gereicht hätte. Die NTSRadiostage bietet derweil mit Lucas Croon einen Psychohouse-DJ vom feinsten, der eine ordentlich große Meute an Menschen zum Tanzen und Mützen zum Wackeln bringt.

Einige Meter weiter macht eine hochinteressante Solokünstlerin auf der Young Talents Stage ihre Soundprobe und ich bin hin und weg von der starken, klaren und tonsicheren Stimme des Mädchens am Keyboard. Sie nennt sich Stud und ihre Vocals & Lyrics müssen sich nicht hinter Adele, Katie Melua oder Amy Whinehouse verstecken. Sie spielt Songs von wahnsinniger Melodiösität und stimmlich zarter Power, gepaart mit lyrischer Tragik vom Scheitern, Verlust und Einsamkeit. Einzeln sind es eigentlich keine Zutaten mit besonderem Neuigkeitswert, aber gemeinsam schaffen sie ein Gesamtwerk, welches Stud eine große Zukunft bescheren sollte.

Ein weiteres persönliches Highlight und die Überraschung schlechthin ist der unerwartete und unangekündigte Auftritt von der lokalen Rap-Größe Busy Beast zusammen mit der Tossia Corman Band. Nach der Ausladung von Talib Kweli ist es zum Einen erfreulich guten HipHop auf dem Festival erleben zu können. Und zum Anderen hört sich die Zusammenarbeit zwischen Corman und Busy Beast derart harmonisch an, dass wenn man BB’s Originalversionen der Tracks (von denen die meisten von seinem Album „Böser Zwilling“ stammen) nicht kennen würde, man meinen könnte die Tracks und die Beats wären gezielt mit dem Blick auf die Kombo geschrieben worden. Vor allem merkt man dass es sich bei Busy Beast nicht um eine x-te Auflage eines selbstverliebten Wannabe-Atzen im stupiden Aggrostyle handelt, sondern um cleveren Sound eines talentierten Menschen der Hals über Kopf der Musik verfallen ist. Auf einer improvisierten Mini-Bühne werden gechillte Flows, pointierten Punchlines, und beeindruckende Wortschatzsaltos vom Saxofon der Corman-Band und Tossias eigenem smoothen Backgroundgesang unterlegt und alles vermischt sich zu einem Amalgam an musikalischer Awesomeness. Und wer mehr vom Duett BB/Corman erleben möchte kann es auch online tun – z.B. auf ihren gemeinsamen BeuatyAndTheBeast-Podcast auf Soundcloud. (https://soundcloud.com/beautyandthebeast-podcast ) 

 

Open Squares – ein Tummelplatz für Alle(s)

An den Open Sqares herrscht gewohnter Getümmel und die üblich-unübliche Vielfalt an Marktständen. So präsentiert u.a. das Familienunternehmen madeindortmund.de ihren patentierten Brand Glow Rider® (glow-rider.com). Der reflektierende Textilprint dieses Brands soll für mehr Sicherheit unter Fahrradfahrern und anderen Verkehrsteilnehmern sorgen, während es noch dazu stylisch aussieht. Natürlich lasse ich mir auch sofort vor Ort meinen schäbigen Hoodie durch den Glow Rider®-Print ums zehnfache aufwerten. Immerhin muss ich ja noch nachts längst der Waldstraße nach Hause gehen– und dank des Leuchtprints findet man meinen überfahrenen Körper eventuell schneller.

Gleich daneben findet man alte Federkernmatratzen auf denen man einfachmal ne weile hüpfen kann (#this2isadulthood), Promotion für den diesjährigen Büdchentag (24.08.19 – support your local Büdchen!) und den Vorverkauf für die fem_pop-Konzertreihe, welche einen Schwerpunkt auf female & nonbinary acts legt und eng mit dem Hamburger musicHHwomen-Netzwerk (www.musikhhwomen.de) kooperiert um zur Verbesserung der Position der Frau in der bundesweiten Musikindustrie beizutragen. Es gibt natürlich viel mehr weitere interessante Aussteller auf dem Gelände, aber es wird langsam Zeit sich wieder der Musik zu widmen. 

  

This is bad, and you should feel bad

Der unaufmerksame Leser könnte nun meinen das Open Source 2019 wäre durchgehend von ausschließlich großartigen Artists gefüllt und der Autor hätte vor lauter Freude seinen kritischen Blick für „subqualitative“ Auftritte verloren. Nun, mein imaginärer Leser – leider ist die Welt nicht bloß von Sonnenschein, Freibier und erschwinglichem Wohnraum gefüllt, sondern auch von globaler Erwärmung, Leberzirrhosen und kleinen Dingen, die in Schubladen stecken bleiben.  

Und da die eigene Lebenszeit beschränkt ist und man auch nicht alles ausführlich beobachten kann, gibt es nun – platzsparenderweise – einen Rundumschlag gegen all die Acts, die sich, naja…Mühe gegeben haben.

Yves Tumor ist Marilyn Manson in Schwarz, der aber versucht wie Prince zu singen. Das ist alles.

Faber spielt sich nach einer halben Stunde in die Second-Verse-Same-As-The-First-Ecke, in der auch seine Akkustik-Spielereien, versetzt mit Bläsern, Drums und Songwriter-Allüren, nicht weiter helfen.

Rizan Said schafft einerseits einen Orientalsound so fein elektronisch zu arrangieren, dass man sich denkt eine ganze Gipsyband mit 4 Synthesizern und einem Tanzbären wäre auf der Bühne, während im Endeffekt nur ein einzelner DJ am Mischpult steht. Andererseits klingt es aber auch extrem nach persischer Hochzeitsmusik, unterlegt mit Ethnic-Technobass. 


Woods of Birnam produzieren den üblichen, leicht synthetisch verschrobener Indiepop-Sound von 5 skinny white dudes, der mal nach Underworld, mal nach 21 Pilots und mal nach Boy George klingt aber immer – natürlich – besonders gefühlvoll gesungen wird. Wahrscheinlich sind die Texte auch sehr, sehr deep, edgy und nachdenklich, kulturell bedeutsam und theatralisch wirkungsvoll (denn immerhin produzieren sie auch Songs für Theater, wie der Frontmann – natürlich – zu betonen weiß). Also alles sehr schön und sehr anspruchsvoll. Und ungefähr so aufregend und neuartig wie ein Bausparvertrag.

Es war ja nicht alles schlecht

Aber es ist ja nicht alle Tage Abend und zum Ende des Festivals gibt es auch wieder einige bemerkenswerte Auftritte:

 

DaMFunK (bewaffnet mit Keys-Gitarre und einem Mischpult) ist mit seiner Marvin Gaye-artigen Stimme sichtlich vom Funk beeinflusst und nutzt das Mischpult um darauf groovige Danceloops zu sampeln. Natürlich gibt es was „for the ladies“ und gleich danach was „for the fellas“. Aber v. a. tanzbares Deep Bass-Zeug mit Funkeinfluss, der schon mal auf den Rest des Abends einstimmt.

Bambi
mixt seinerseits R'm'B, Salsa und Minimal House-Einflüsse, mit Loops im Double und Triple Time zu einem sehr tanzbaren Cocktail, der in der ansetzenden Dämmerung eine ordentliche Meute an der Radiostage versammelt. 

Den Schlussakkord des Abends bietet wiederum ein Artist, von dem Woods of Birnam sich abschauen könnten, wie guter Indiepop geht - Sohn. Sohn besteht aus einer verzerrt betörend-verstörender Stimme (man denke sich Ed sheeran und Ben Howard meets Therapy) und keylastiger Instrumentals. Es ist ein trauriger Synthiepop-Sehnsuchtsound der Mal fast ganz zurückgenommen wird, Mal plötzlich kurzweilig zu einem fulminanten, treibenden Crescendo anwächst. Musik und Gesang bilden zwei Gegenpole aus Klangchaos und melodischer Ordnung, die sich zu etwas ergänzen, was mehr als nur die Summe der Einzelteile ist. Ein bisschen wie das Festival selbst, in all den Jahren seines Bestehens.

 

Gute Nacht Open Source. Schön wars!

 

 

OSF Mainstage

Carhartt WIP Stage

sipgate Young Talent Stage und Open Squares