…And You Will Know Us By The Trail Of The Dead (feat. Mignon)

 

 

Von Andrej Schenk

Vor 20 Jahren war die Welt noch (halbwegs) in Ordnung, der Wirtschaft ging es (halbwegs) gut, der 9/11 & der kurze, siegreiche Krieg gegen den Terror lag noch vor uns und alles war (halbwegs) „easy“.1  

 

Und da alles (halbwegs) „easy“ war, musste die US-Indieszene, die sich um die Jahrhundertwende endgültig vom Skaterpunk, Grunge, Crossover & Co abkuppelte, etwas finden, worüber junge Menschen bedeutungsvolle und dramatische Texte schreiben und angry sein konnten. And You Will Know Us By The Trail Of The Dead (ab hier nur noch platz- und zungensparend TRAIL genannt) gingen all in und beschlossen die Anthropologie der Menschheit musikalisch zu verpacken. Und das funktionierte: so wurde ihr Album „Worlds Apart“ AD 2005 vom Visions-Magazin zum „Album des Jahres“ ernannt.

 

Wenn man den sehr US-amerikanischen Sound der früheren Alben von TRAIL hört, kommen zwei sehr deutsche Worte in den Sinn: "Weltschmerz" und "Zeitgeist". Und eventuell noch das schöne deutsch-amerkianische "teenage angst" Diesen Prämissen blieb auch das TRAIL-Album "Madonna" 1999 treu, welches nun anlässlich seines 20-jährigen Jubiläums das Kernstück der diesjährigen Tour bildet. Die dicht gepackte Menge kann also Powerchords und primal screams der 90s-Variante des US-psychodelic hardcore erwarten. Ein Sound, der gleichzeitig an Disturbed, Sepultura und Dillinger Escape Plan erinnert.

 

So viel Power einer live hochdotierten Band ist fast schon zu viel für den kleinen Saal des Zakk. Die Texaner hauen bei den ersten Tracks erwartungsgemäß ihre Stadienpower in den Raum - und die Wände scheinen tatsächlich fast zu wackeln. Aber nicht das teutonische Publikum. Und da ist schon das Problem mit "Madonna" hier und heute: der Sound des 90er Powerscreams, der immer noch klingt, als würde man zu ihm gleich Instrumente zertrümmern, trifft auf gesittet alternatives deutsches Publikum von 2019. Und irgendwie passt es nicht wirklich. Vor dem inneren Auge crowdsurfen Menschen reihenweise von der - und mitten auf die - Bühnenkante, aber vor dem realen Blick sieht man meistens grad mal das rhythmische Vorsichhingestampfe der Menge. Ein kleiner, harter Kern direkt vor dem Bühnenrand hält zwar tapfer die Moshpit-Flagge, aber so richtig Torte ist es nicht. 

Well, I guess we're not in Texas anymore.

 

Ehrlich gesagt, bin ich kein Fan von screaming doubletime-Vocals. Und TRAIL ist Anno Hastenichtgesehen auch an mir vorbeigegangen. War halt nie so mein Ding. Heißt aber nicht dass es nicht soundtechnisch interessant wäre. Es ist wahnsinnig kraftvoller Moll-Rock, mit professionell ausgeführten Zerrklängen, starken Powerchords und einer fein getakteter Drumline. Aber der Sound erinnert leider auch ein bisschen an sozialkritisch-kreative Gedichte von - zweifelsfrei talentierten - Soziologiestudenten im 18. Semester beim Poetry Slam. Es ist gut durchdacht und stark vorgetragen - dabei aber auch etwas hochtrabend-monoton. 

 

Aber die Fähigkeit eine, scheinbar monotone, Baseline selbstsicher und lange genug auszuspielen, diese kontinuierlich zum Crescendo steigen und in einem furiosen finalen Kraftakt explodieren zu lassen ist bemerkenswert. So etwas kommt nur mit einer jahrzehntelangen Erfahrung. Und da merkt man auch dass es sich bei TRAIL um mehr als nur geschriene Soziologiegedichte handelt.

 

 

1 „Easy“ ist natürlich – vor allem auf die genaue geografische Location der jeweiligen Person bezogen – ein in diesem Kontext äusserst relativer Begriff.

Einen ganz unerwartete persönliche Live-Entdeckung ist dagegen die Vorband von TRAIL: Mignon. Mignon ist vieles: es ist die wunderschön-räuberische Stimme der gleichnamigen Frontfrau und ihr sexy Kokettieren mit dem Publikum. Es ist ein Sound der die Menge zunächst sanft über Wellen trägt und dann plötzlich den Sturm loslöst. Es sind melodische stoner-rockige Balladen, köstlichst-rotzige Punk-Nummern und eine Extraportion von „Hot Love“. Es sind auch abgefahrene Instrumente, wie das Theremin oder das Waterphone. Mignon ist das uneheliche Baby einer ranzigen, Berliner Version von No Doubt und den Queens Of The Stone Age (mit denen die Band anscheinend schon seit über 20 Jahren auf Tour geht). Und vor allem sind es 35 min Vollgas. Und da bin ich wiederum ein großer Fan von.