40 Jahre Deutschpunk

Die Eröffnung des Lieblingsplatte Festivals 2018 im Düsseldorfer ZAKK übernimmt Male und eine Platte die Musikgeschichte geschrieben hat

 

von Andrej Schenk

Vor Millionen von Jahren, als Musikjournalisten noch versuchten originell zu sein, war der Ur-Punk britisch und entsprechend englischsprachig. Und wenn Campino (um jetzt bei der Steinzeit-Metaphorik zu bleiben) der "Dinosaurier des Deutschpunks" ist, so sind die Herren von Male jene ominösen Urzeit-Amphibien, welche aus der britischen Ursuppe ans deutschsprachige Land stiegen, um es sich und ihren Nachkommen dort bequem zu machen. Das war etwas brandneues, etwas grenzenbrechendes. Das war echt punk.  

Und mit ebendiesem Meilenstein der Evolutionsgeschichte begann das Lieblingsplatte-Festival 2018 im Düsseldorfer ZAKK: die „Zensur & Zensur“-LP von Male, welches 1979 als ein historischer Urschrei die Geburtsstunde des Deutschpunks markierte und gleichzeitig die einzige Platte von Male werden sollte. Die darauffolgende Bandauflösung, die weitere musikalische Arbeit von Jürgen Engler & Co in solchen Kombos wie Die Krupps, sowie die maßgebliche Beeinflussung der musikalischen Nachkommenschaft in Form von Fehlfarben, Die Toten Hosen etc. waren weitere Windungen der Evolutionsspirale. Und ebenfalls echt punk.

Ob die Anmoderation für Male, und deren Vorband Kopfecho durch den Düsseldorfer Oberbürgermeister Thomas Geisel auch echt punk war, lässt man dagegen lieber einfach dahingestellt. Auf jeden Fall darf der Herr Geisel sich wiedermal als Patron der Künste präsentieren, ohne tatsächlich etwas dafür zu tun oder auch nur einen Euro beizusteuern, die Alt- & Neu-Punks können sich mit einem SPD-Politiker als Conférencier schmücken, auf dem Altar der Skurrilität ist ein Opfer dargebracht worden und alle sind glücklich.

 

Apropos Kopfecho: als Kontrast zu den Alt-Punkern von Male funktioniert die Düsseldorfer Punk-Rock-Truppe erstaunlich gut – wenn auch bloß für Musikhistoriker. An ihrem Sound erkennt man nämlich die Evolution der musikalischen Punkkultur in den letzten 40 Jahren. Und da liegt das größte Problem: der Sound der Revolte wurde zu Poprock und irgendwie mit den zig anderen neuen modernen deutschen Rockbands verwechselbar. Die starke Stimme der Frontfrau Amy Vialon wird durch ihre einstudiert wirkende Bühnenchoreo und eine etwas zu stark aufgetragene Fröhlichkeit konterkariert. Die moderne Poprevolte wirkt zu gut gelaunt, zu aggressionsbefreit. Und da der Saal mehrheitlich von Punk-Puristen und Nostalgikern gefüllt zu sein scheint, kann Kopfecho nicht so recht den Funken zünden. Und auch das Cover der WIZO-Misanthropen-Hymne „Quadrat im Kreis“ wirkt obskur, wenn man es mit einem glücklichen Grinsen auf dem Gesicht singt.

 

Dagegen wirkt Male tatsächlich wie die Quintessenz des „wahren“ Deutschpunkssounds: Brachialität und Aggression, eingebettet in harte, klare Riffs von Stefan Schwaab und die ranzige Stimme von Jürgen Engler. Es ist eben die musikalische Aggression die Kopfecho fehlt. Ja, es sind meistens nur vier Akkorde. But that‘s punk. Ja, die Texte werden niemals die Komplexitätsmedallie gewinnen. But that‘s punk too. Und gleichzeitig ist nicht alles so einfach. Der scheinbar simple Base-Riff, der bei „1 Tag Düsseldorf“ kurz in einen Dark Wave/Industrial-Sound mündet, zeugt von einem Einfallsreichtum, welche den Musikern von Male bereits vor 40 Jahren eigen war – und zwar auch jenseits der Punksparte. Die erstmalig live gespielte Version von „Zensur Dub ist“ da ebenfalls ein prima Beispiel dafür.

Und das die Musiker in all den Jahren deutlich besser geworden sind, ist auch selbstverständlich. Immerhin stehen auf der Bühne zusammengerechnet über 100 Jahre Stageerfahrung. Wahrscheinlich über 150 wenn man die Gäste mitzählt. Und die haben es auch in sich. So ist die komplette Hosen-Belegschaft präsent und tüchtig bei der Sache: der Hosen-Drummer Vom Ritchie darf hinter die Becken, Kuddel macht den Soundcheck und Andi Meurer hat es am besten erwischt und kippt sich an der Bar gemütlich Bier hinter die Binde. Und wo die drei sind ist auch der vierte nicht weit. Und so ist ein augenzwinkernder Leckerbissen, wenn Campino auf die Bühne kommt und „Jürgen Engler gibt ne Party“ zusammen mit ebendiesem Jürgen Engler singt, dem er damals in diesem Track Verrat an der Punk-Idee vorwarf. Und übrigens: Kopfecho, schaut mal genau hin: so geht eine Bühnenchoreo, die zwar in all den Jahren auf der Stage bestimmt einstudiert IST, aber eben nicht einstudiert WIRKT! 

 

Das Publikum ist auch ein Fall für sich. Die meisten von den Zuschauern sind älter als das Album und schwitzen förmlich musikalische Punknostalgie, sowie Erinnerungen an die gute, alte Zeit als das Bier noch 50 Pfennig kostete und Popper und Punker noch auseinanderhaltbar waren. Die alten Nietenlederjacken sind zwar aus dem Schrank aber der Spike-Irokese ist größtenteils der Halbglatze gewichen. Daher könnte man sich denken, dass vor der Bühne nicht allzu viel Pogo-Action zu erwarten wäre. Aber das liegt nicht an den Musikern: die haben genug Power um jeden Saal voller Jungspunde in den Moshpit zu jagen. So ist es nicht wirklich überraschend, als sich ganz vorne doch ein harter Pogo-Kern bildet und die Crowdsurf-Brandung immer wieder begeisterte Menschen auf die Bühne wirft. 

 

Schlussendlich bleibt festzuhalten, dass wenn man heutzutage die Normalität der deutschsprachigen Musik in Dutzenden Genres und die hervorragende Eignung der deutschen Sprache für rabiaten, hart gebellten Klang betrachtet, kann es einen schon verwundern, warum es so lange gedauert hat, bis erst 1979 jemand auf die Idee kam Punk auf Deutsch zu machen. Aber darin lagen ja auch der Mut und die Bedeutung von Male, ohne die weder Die Toten Hosen, noch Die Ärzte, oder auch KIZ den „deutschen sprachmusikalischen Wortspielspass“ (und ich patentiere hiermit diesen Ausdruck) verwirklichen könnten. Und auch Rammstein hätte, ohne Engler, Die Krupps etc., es wahrscheinlich etwas schwerer gehabt der Welt ze pauer of ze mjusikal dschörman längwatsch zu zeigen. Male ist jedenfalls gelebte Musikgeschichte live.