WILCO im Carlswerk Victoria, Köln, 13.09.2019 Konzertreview von Thomas Höhner

,Impossible Germany‘ oder eine Ode an die Freude?!!

 

,Ode to Joy‘ heißt das im Oktober erscheinende neue Album der Band aus Chicago. Ich hätte es besser gefunden, wenn das Album, das man auf einer Tour vorstellen will, vorher bekannt ist, aber der Zeitpunkt von Albumveröffentlichungen ist bei Wilco historisch bedingt ein sensibles Thema. Soll der Titel des neuen Albums vielleicht gar ironisch sein? Ich bin seit den ,Uncle Tupelo‘-Tagen musikalisch auf den Fersen dieser Band, habe sie 1997 im Luxor in Köln gesehen und sie nie ganz aus den Augen verloren. Es ist viel passiert seither. Ich bin sehr gespannt, was mich an einem Freitag, den 13. vom nachdenklichen Grantler Jeff Tweedy und seinen Mannen erwartet.

 

Es ist mein erstes Konzert im Carlswerk Victoria in Köln, einer schön hergerichteten ehemaligen Fabrikhalle mit guter Akustik. Ein alter Freund der Band , Spiral Stairs‘ alias Scott Kannberg (Ex-Pavement) eröffnet mit Tim Regan auch an der Gitarre pünktlich den Abend. Es gibt eingängige Songs, die die gut gefüllte Halle auf den weiteren Abend einstimmen.

Um kurz nach neun betreten Wilco mit Jeff Tweedy , Nels Cline (g), John Stirratt (b), Glenn Kotche (dr), Mikael Jorgensen (keys) und Pat Sansone (g,p) die Bühne. Sie beginnen mit zwei Stücken des neuen Albums, ,Bright Leaves‘ und ,Before us‘. Der Sound ist perfekt. Man spürt auch die sehr gute Abstimmung von Sound und Licht. Erste Höhepunkte sind ,Handshake Drugs‘ vom Album , A Ghost is born‘ (2004) sowie ,Hummingbird‘ und ,Via Chicago‘ vom Album ,Summerteeth‘ (1999). Gerade der letzte Song zeigt, was die Musik von Wilco ausmacht. Einerseits Melodien mit Folk- und Country-Touch, andererseits das musikalische Chaos. Die wunderschöne Melodie des Songs wird durch eine Sound- und Schlagzeug-Tirade entfremdet und fast zerstört, bevor sie dann doch wieder die Oberhand gewinnt. Der famose Glenn Kotche am Schlagzeug beweist nicht nur hier sein Können. Es läuft alles auf ein sehr solides Rockkonzert hinaus. Jeff wirkt trotzdem irgendwie schüchtern und zurückhaltend. Mehr als eine kurze Begrüßung an das Publikum zu Beginn (nach dem dritten Song) und ein kurzes ,Thank you‘ ist nicht drin.

Doch es sollte alles anders werden!! Es ist genau 22:09 Uhr (ich kann von meinem Standort die digitale Uhr neben der Bühne sehen), als das Gitarren-Intro zu , Impossible Germany‘ erklingt. Ich habe mich immer gefragt, warum Jeff die Länder Deutschland und Japan für die erste Textzeile dieses Beziehungsliedes gewählt hat. Egal. Ich bin aufgeregt, denn ich weiß was nun kommt:  Eines der besten Gitarrensoli der Rockgeschichte!! Kein Spaß! Alle Ungläubigen und Zweifler mögen sich die Studio-Version auf ,Sky Blue Sky‘ (2007) oder etwa die Liveversion in der David Letterman Show ansehen und sodann für immer schweigen. Es ist also an Nels Cline, das bisher sehr gute Konzert zu einem besonderen zu machen. Und er liefert! Seine Finger wandern wie ferngesteuert über das Griffbrett seiner Gitarre. Das Solo, das langsam und melodisch beginnt, steigert sich mit unermesslicher Geschwindigkeit zu reiner Gitarrenekstase. Frenetischer Applaus! Jeff zieht seinen Hut und auch die übrigen Bandmitglieder zollen nacheinander Respekt in Richtung Nels Cline, der sich, weil das Publikum immer noch nicht aufhört zu jubeln, freundlich verbeugt.

Danach ist nichts mehr wie vorher. Jeff taut förmlich auf. Seine Quote an Lächlern steigt rapide an. Er fängt an, sich während der Songs intensiver zu bewegen (was in mir das Bild eines Tanzbären hervorruft) und sein Redefluss explodiert förmlich. Er erzählt voller Ironie, dass er es nicht leicht hat als Frontmann einer Rockband und dass er sich manchmal fühlt wie David Lee Roth. Das ist ein echter Brüller, wenn man mal in seine Autobiografie (,Let’s go so we can go back‘) reinliest. Jeff Tweedy hat Spaß. Das Publikum auch. Ein glorreicher Abend. ,Impossible Germany‘ hat das Eis gebrochen. Die Euphorie wird von der Band bis zum Ende hochgehalten. Weitere Highlights sind noch das traurige ,Jesus etc.‘ vom so geschichtenträchtigen Album ,Yankee Hotel Foxtrot‘ (2002), ,Box full of Letters‘ vom ersten Album ,AM‘ (1995) und das wunderschöne ,California Stars‘ vom Album ,Mermaid Avenue‘ (1998), das sie zusammen mit Billy Bragg aufnahmen. Hier hatte Pat Sansone seinen Einsatz am Banjo. Nachdem er die meiste Zeit eher traurig reingeschaut hat, bringt die Reaktion des Publikums sogar ihn zum Lächeln. Mit ,Outtasite‘ vom Album , Being there‘ (1996) war dann nach 30 Songs und gut über 2 Stunden Schluss. Alle Leute um mich herum haben ein Lächeln auf dem Gesicht. Ich habe einen unvergesslichen Konzertabend mit magischen Momenten erlebt. Das ist es, was mich nach so vielen Jahren immer noch in die Konzerthallen treibt. Danke Wilco!!

 

Thomas Höhner