Klangkulissen und Kreativität

Das 13. Open Source Festival im Review

von Andrej Schenk

 

(Es ist schwierig als Einzelner tatsächlich alle Eindrücke eines Festivalevents mitzunehmen. Daher kann dieser Bericht Elemente von persönlichen Vorzügen, eigenen Erlebnissen, sowie Spuren von Erdnüssen enthalten. Legen wir also los.)

Das Wetter ist perfekt, die Vögel kreisen im wolkenlosen Himmel und auf dem 13. Open Source Festival herrscht das Motto der Suche nach Kreativität. Auf dem verhältnismäßig kleinen Festivalgelände der Düsseldorfer Galopprennbahn tummelt sich eine Mischung aus Festivalgästen, Startuppern, Musikern und sonstigen Künstlern. Drei Bühnen und ein buntes Line-Up sorgen für ununterbrochene musikalische Abwechslung von Indie-Rock, bis HipHop und Analog-House. 

 

Auftakt im Dreier-Pack

In der prallen Mittagssonne eröffnet das Vierercombo von The Blackberries als erste Band auf der Main Stage das Festival mit einem ordentlichen Schuss Retrosound. Der psychodelische Hippie-Rock, wird begleitet von einer abgefahrenen Percussionarbeit und unterlegt eine solch kräftige Falsettstimme, die man sogar vom benachbarten Wildpark hören kann. Die Rehe nicken jedenfalls im Takt.

 

Derweil räumt auf der „Carhartt-WIP Stage“ Philipp Otterbach sein DJ-Pult weg und überlässt die Bühne Arp Frique & Family. Das Rotterdamer Funk-Ensemble bewegt dank einer Mischung aus Drums, Big Bongo, E-Klavier, welche von saftigen Gitarren- und Bassriffs begleitet werden, die Füße und andere Körperteile des Publikums. Und grade als man sich auf die karibischen Tunes eingestellt hat und meint die Richtung der Musiker zu erkennen, dreht das Gespann nochmal auf und produziert absolut abgefahrene Synthiepsycho-Klänge, die einem die Synapsen vibrieren lassen. Ein echter Stardust-Sound. 

Auf der dritten Bühne machen sich währenddessen Carpet Waves bereit ihre 15 Minuten Festival-Ruhm zu ernten. Sie klingen wie eine Mischung aus Garage Stoner Rock und HIM, wenn Ville Valo dauererkältet wäre. Es ist keine Neuerfindung des Rock’n’Rolls, aber es ist ein stabiler Sound, die beim Publikum gut ankommt. Jetzt bleibt noch abzuwarten ob deren Platte „1165 particles“ ebenfalls überzeugen kann.

Nicht auf die Größe kommt es an

Die „Young Talent Stage“ ist eigentlich ein Fall für sich. Von rund 100 Bandbewerbungen wurden 8 Bands – darunter eben auch Carpet Waves, Animi Vox und John Wayne On Acid – durch eine Fachjury ausgewählt, die nun also vor Publikum auftreten dürfen. Und wie immer macht es die Mischung: manche sind gut, manche weniger und wiederum andere könnten durchaus im nächsten Jahr die Main Acts auf den großen Bühnen ersetzen. Denn es kommt ja bekanntlich nicht auf die Größe – der Bühne – an. 

So kann Mykki Blanco, die musizierende LGBT-Aktivistin, zwar mit einer Genderbreak-Persönlichkeit und einer ausgefallenen Performance auf der WIP-Stage punkten, ihre musikalische Mischung aus Doubletime Triphop, Punk und Spoken Words überzeugt dagegen weniger. Denn wenn ihr DJ mehrere Male hintereinander denselben Fade-out/Fade-In Trick abspielt, ertappt man sich beim Gedanken, dass so ein Mischpult theoretisch auch andere Optionen beinhaltet und leidenschaftlicher Aktionismus noch kein Garant für gute Musik ist.

Und auch das HipHop-Duo von Zugezogen Maskulin bemüht sich redlich auf der Main Stage und pumpt die gewohnt-kritischen Lyrics „gegen Klischees im Rap-Geschäft“. Deren Style klingt wie üblich nach einer Mischung aus KIZ, Antilopengang und Die Ärzte, serviert in einer Aggro-Berlin-Verpackung Aber deren Auftritt, so powervoll er auch sein mag, bietet letztlich wenig Neues, denn irgendwann ist „Gegen Klischees“ seinerseits auch zu einem Klischee geworden. Und der „Vatermörder“ hat heute deutlich weniger Provokationspotenzial als „Geschwisterliebe“ vor fast 30 Jahren.

 

Ganz anders die Jungs von John Wayne On Acid. Ihr viel zu kurzer Auftritt auf der Young Talent Stage bietet unglaublich abwechslungsreiche Parts zwischen Funk, Reggae, Drum’n‘Base, Analoghouse und Versatzstücken die nach Ennio Morricone klingen. Teilweise ist der House-Sound so kräftig, dass man fast vergisst, dass kein Ton der Jungs digital ist, sondern sich alles live und instrumental vor dir abspielt. Und im Detail erkennt man auch das Potenzial der Band: so bleibt der Drummer trotz des Dauerwechsels im Sound extrem präzise und kontrolliert auch den feinsten Beatchange. Nach dem Auftritt erzählen die Jungs noch dass deren LP „Orgone Accumulator“ irgendwann mal im Herbst erscheint und darauf kann man schon mal gespannt sein. Denn diese Band hat ein Größenpotenzial, das sich nicht auf kleinen Bühnen zu verstecken braucht. 

 

Ist es Kunst oder kann man da Geld investieren?

Es gibt beim Open Source aber nicht nur was auf die Ohren. Auch anderweitige Richtungen der bildenden Kunst sind in diesem Jahr dank der Zusammenarbeit mit der Kölner Kunsthochschule für Medien auf dem Festivalgelände erfahrbar. Acht Studenten der Hochschule präsentieren ihre Ausstellungsstücke, die unter dem Konzept der „challenge between sound & visuals“ gegen den Lärm des Festivals ankämpfen. Da wehen symbolbefreite Silberflaggen im Wind, deren schimmernde Oberfläche als reflektierender Spiegel die Betrachterwerte reflektieren sollen. Videoinstallationen mit eingeschränktem Sichtfeld werden in der anbrechenden Dunkelheit immer sichtbarer und symbolisieren die Deutlichkeit der Kunst in dem fortschreitenden Lauf der Zeit. Und Computer werden durch den erfahrbaren Output von Sound und Visuals, sowie durch Projektion von Gesichtszügen auf die Hardware vermenschlicht.

 

Eine besondere Ecke des Festivalgeländes ist für die Open Squares reserviert. In kleinen Igluzelten präsentieren sich regionale StartUps, die in ihrer Geschäftsidee eine kreative Herangehensweise vorweisen können. Ganz unter dem Motto der Kreativitätssuche.

 

In einem dieser Zelte erklärt mir Jördis, die Chefredakteurin des neuen Design- und Kultur-Magazins „Gosh“, ihr Bestreben Künstler und Musiker zusammen zu bringen um Popkultur entstehen zu lassen und damit der vorherrschenden Imagedominanz des Künstlerbegriffes, welches in den Massenmedien meist für Musiker reserviert bleibt, entgegen zu wirken.

Damit anderweitige Künstler also nicht zu kurz kommen, geht im September die erste „Gosh“-Ausgabe auf dem Markt. Ob ein reines Printmagazin sich in den heutigen digitalen Medienzeiten bewähren kann, bleibt abzusehen.

 

Deutlich digitaler hingegen ist das Konzept von „Pointreef“, welches die „Digitalisierung von Allem“ verspricht. Von Schuhen bis Architekturobjekten – das Team um Robert, Marc und Amanda schaffen dank moderner Scan- und Digitalisierungstechnologien virtuelle Ebenbilder von Objekten und Orten. Damit schaffen sie Unglaubliches und machen unbegehbare Orte wieder begehbar und verloren gedachtes wieder erfahrbar. So führt mich die VR-Brille durch das längst versiegelte Untergeschoss des Worringer Platzes, welches bis auf die Graffitis detailgetreu nachgebaut wurde. Das enorme Anwendungspotenzial dieses Konzepts in der Architektur, der Design-, Film- oder der Videospielbranche lassen einem den Atem stocken.

 

 

Und wo wir grade bei Videospielen und verlorenen Dingen sind: in dem Zelt von „Goodwolf Studios“ treffe ich auf ein längst vergessen geglaubtes Game-Genre – das interaktive Textadventure. Leser, die sich vielleicht an “Zork“ und „Maniac Mansion“ erinnern, werden wissen warum die Begegnung mit dem Indy-Game „Code 7“ die Retroglocken höher schlagen lässt. Das storylastige SciFi-Hacking-Adventure ergänzt das Text-Konzept um einige grafische und spielerische Gimmicks und kehrt das klassische Konzept des ahnungslosen Protagonisten mit einer Stimme im Ohr um, indem es den Spieler zu ebendieser Stimme im Ohr macht, die den Helden durch Gefahren führen soll. „Code 7“ ist in fünf Episoden unterteilt von denen zwei bereits fertig und die Demo, welche als Prolog in die Story einführen soll, bereits auf Steam kostenlos zum Download verfügbar ist. Was aber das Spiel aber wirklich besonders und herausragend macht, ist die Tatsache, dass es das erste Adventure ist, welches in der Blindenversion durch die Voiceausgabe spielbar wäre und somit zur Inklusion der körperlich benachteiligten Spieler in die Videospielszene beiträgt. Insofern: Chapeau!

 

 

Back to the music

 

Aber das Rahmenprogramm in Ehren – das hier ist immer noch ein Musikfestival. Also ab an die Main Stage, wo gerade Joan As Police Woman die Bühne betritt. Der soulige Rock der Sängerin und Violinistin aus Maine hat dank der tiefen Stimme der Frontfrau Joan Wasser einen gewissen Style, der gesangstechnisch an Tracy Chapman erinnert, nur noch psychodelischer und tragender wirkt. Die abwechslungsreichen Kompositionen erinnern auch stellenweise an The Cure, oder wirken auch – wie „Looking for a man“ – sehr funklastig. Aber das Highlight des Ganzen ist natürlich Joans Stimme. Sie trägt die Tracks wie ein Eisbrecher, ein Kampfpanzer des Souls, der voran rollt und jeden Musikknochen zermalmt. Doch urplötzlich ist der Auftritt vorbei: in das Mikro wird noch etwas über die „fucking people“ gemurmelt und die Band verlässt die Bühne ohne sich zu verabschieden. Dieser Abgang ist so strange und schnell, dass man nicht gemerkt hätte dass sie weg sind, wenn man nicht genau hingeschaut hätte.

 

Die Schuldirektoren der Hamburger Schule

  

Das Beste kommt aber wie gewohnt zum Schluss und die Lehrmeister der Hamburger Schule von Tocotronic füllen in der angebrochenen Dunkelheit den Rasen vor der Main Stage. Es wird ein Gemisch aus alten Klassikern und Stücken von dem in diesem Jahr erschienenen Album „Die Unendlichkeit“ serviert – und das mit Nachschlag. Ein selten klarer Live-Gesang liefert starken, straighten Sound, der dank der fortgeschrittenen Betrunkenheit des Sängers Dirk von Lowtzow vielleicht nicht jeden Ton zu 100% trifft, aber die leidenschaftlichen, hochpolitischen und sehr persönlichen Texte nur noch stärker untermauert. Es schallt eine Sehnsucht von der Bühne – eine Sehnsucht nach einer besseren Welt, nach Veränderung, nach dem Sieg der Unvernunft und der Ehrlichkeit und nach dem „letztem Jahr in Sommer“. Es ist deutscher Sehnsuchtsrock in bester Manier: ohne Schönmalerei, Kitsch und Plattitüden. Dafür aber mit einem Cocktail aus Liebesliedern und politischem Statement. Aus Punkgeschramme und traurigen Melodien, die das Verlorene beklagen. Aus kraftvollem Metapherntextspiel und Powerchords. Als Abschluss liefern Tocotronic die einzige Zugabe der Main Stage mit „Ich weiss nicht warum ich euch so hasse“. Und dieser Abschluss kulminiert in einem absolut abgefahrenen, dissonanten Finale mit Fliegeralarmflair und einem Licht-und-Rauch-Abgang, der an die Auftritte von New Model Army erinnert. Und die letzte Verbeugung von Lowtzows macht die Kapitulation vor der Musik perfekt und gibt einem grandiosen Festival-Tag sein verdientes, phänomenales Ende.